Jenny auf görlitzerisch
Das "Junge Wohnen" ist eine Einrichtung der Jugendhilfe, die seit 2015 besteht. Seit dieser Zeit ist es hauptsächlich unser Anspruch jungen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein Obdach, Fürsorge, Unterstützung und ein Ankommen in einer neuen Welt zu bieten. Hier finden derzeit 17 junge Menschen u.a. aus Afghanistan, Syrien und dem Sudan eine Art von Beheimatung.
Das "Junge Wohnen" ist aber darüber hinaus fahrradaffin. Mehr als die Hälfe der sechzehn MitarbeiterInnen aus dem Bereich der Jugendhilfe kommen unabhängig vom Wetter mit dem Rad zur Arbeit. Auch die meisten Bewohner der Einrichtung nutzen ihr Rad.
Im Innenhof der Blumenstraße 36 werden die PkW-Stellplätze nur selten genutzt. Ein VW-Caddy mit Caritasbeschriftung steht häufig mutterseelenallein im Hofbereich. Die Kilometeranzeige steht nach fünf Jahren bei bescheidenen 35.000 Kilometern. Dafür werden die Fahrradständer gut genutzt und gerade zu Zeiten der Dienstberatungen ist hier die Zweiraddichte deutlich wahrnehmbar.
Von den 16 MitarbeiterInnen kommen neun meist mit dem eigenen Rad auf Arbeit, weitere drei kommen zu Fuß oder nutzen den ÖPNV und lediglich vier Kollegen bevorzugen zumeist das Auto. Diese Selbstverständlichkeit hat mehrere Ursachen und spricht für einen umweltschonenden Zeitgeist der nicht beworben, nicht gefördert und bisher nicht ins Rampenlicht gestellt wurde.
Ein weiterer Beleg für diese Zweiradleidenschaft wird beim Blick in die zum "Jungen Wohnen" gehörige "Fahrradgarage" sichtbar. Weitgehend jeder Bewohner bekommt ein nutzbares Fahrrad zur Verfügung gestellt, mit dem er allein oder in der Gruppe Görlitz und das Umland erkunden kann. Gerade im Sommer ist der nahe Berzdorfer See ein lohnendes Ziel, der in 20 Radminuten gut erreichbar ist.
In unserer Garage, die den Drahteseln Schutz vor schlechtem Wetter und Diebstahl bietet, findet sich auch ein Fundus an Ersatzteilen, wie Bowdenzüge, Kettenblätter oder Fahrradmäntel. Die beiden Mitarbeiter, Thomas Pöschke und Steffen Fritzsche sind meist Ansprechpartner, wenn die Bremse klemmt, das Tretlager knarrt oder die Luft nicht im Reifen bleiben will. Hier greift dann der hausinterne Werkstatt-Service. Nicht selten wurden bei den Reparaturen schon handwerkliche Talente unter den zumeist afghanischen Bewohnern entdeckt, denen der Umgang mit Mutternschlüssel, Schraubenzieher oder Kombizange wie selbstverständlich schien.
Die Beweggründe, warum das Fahrrad ein wichtiger Teil des Alltags im "Jungen Wohnen" darstellt, sind so individuell und bunt wie die Fahrräder die auf der Blumenstraße 36 in Görlitz zu finden sind.
Franziska Seidel
"Mein Fahrrad war schon immer ein fester Bestandteil in meinem Leben, erst hat mich mein Drahtesel zu meiner Freundin ins Nachbardorf gebracht, dann in die Ausbildungsstätte, durch den Urlaub und nun zur Arbeit. Mit dem Rad ist man oft schneller als mit dem Auto und ich komme an Stellen, womit ich mit dem Auto nie kommen würde. Zum anderen bin ich lieber mit dem Rad unterwegs als zu Fuß. Aber ein Fahrrad kann so viel mehr. In den letzten Jahren habe ich zunehmend ein Rad auch als Packesel verstanden, ob Kinder, den Wocheneinkauf oder sperrigere Sachen. Mit dem richtigen Rad bekommt man (fast) alles weg. Mit Fahrrad fahren möchte ich ein Zeichen setzen. Städte müssen fahrradfreundlicher gestaltet werden und Görlitz hat da auf alle Fälle noch Luft nach oben."
Franziska Seidel (36) stellv. Teamleitung
Mousab Abdulrahman Ahmad Arabi
"Ich bin Mousab und komme aus dem Sudan. Ich bin froh, dass das Caritas Jugendwohnen mir ein Fahrrad zur Verfügung stellt. Dadurch kann ich Görlitz und Umgebung natürlich auch den Berzdorfer See erkunden. Das erleichtert mir die Integration enorm, da ich durch die Beweglichkeit auch Kontakt zu anderen Jugendlichen bekomme. Danke!"
Mousab Abdulrahman Ahmad Arabi (17) Bewohner des Jugendwohnens
Cornelius Hütter
"Einen Arbeitsplatz zu finden, an welchem sich nicht nur der Weg zum Büro, sondern auch Inhalte der Arbeit mit dem Fahrrad realisieren lassen, ist - den offensichtlichen Vorzügen zum Trotz - nicht selbstverständlich. Die ambulante Arbeit mit Familien eröffnet mir vielerlei Anlässe mein Rad in den Arbeitsalltag einzubinden und ich nutze sie gern. Neben dem Zurücklegen einiger Kilometer zwischen Hausbesuchen in und um Görlitz sind es auch die gemeinsamen Fahrten mit den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, welche die Arbeit in vielerlei Hinsicht bereichern. Ohne Fahrrad könnte ich mir die Arbeit als Familienhelfer wohl kaum vorstellen. Nicht zuletzt auch ein guter Grund, weshalb ich mich in diesem Bereich derzeit sehr gut aufgehoben fühle."
Cornelius Hütter (30) Mitarbeiter amb. Hilfen zur Erziehung
Thomas Pöschke
"Seit 2016 bin ich Betreuer im Caritas - Jugendwohnen und repariere auch seit dieser Zeit Fahrräder mit unseren unbegleiteten minderjährigen Jungs, um ihnen ein Stück Gefühl von Geborgenheit und Ruhe zu geben. Viele sind mit Begeisterung bei der Sache, da sie auch merken, etwas mehr in ihrer Freizeit anfangen zu können."
Thomas Pöschke (57) Mitarbeiter im Jugendwohnen und Fahrradmonteur
Dominik Galla
"Ich bin Betreuer im Caritas - Jugendwohnen und für meinen Weg zur Arbeit nutze ich überwiegend mein Fahrrad. Trotz der Möglichkeit mit dem Auto zu kommen, finde ich es mit dem Fahrrad weitaus praktischer. Die Fahrtzeit ist annähernd gleich, es ist kostengünstiger und ich tu der Umwelt unterwegs auch noch was Gutes damit."
Dominik Galla (26) Mitarbeiter im Jugendwohnen
Ferdinand Liedtke
"Ich fahre schon mein Leben lang Rad und komme mit diesem selbstverständlich auch auf Arbeit. Gerade in einer Stadt wie Görlitz erreiche ich meine Ziele mit dem Rad schneller als mit dem Auto. Der Gedanke, dass ich die Schonung der Umwelt und Natur mit Gesundheitsförderung und Vorbildfunktion verbinden kann, ist ein mehrfacher Gewinn für das Leben an sich. Bevor ich etwas fordere oder jemanden für eine Idee gewinnen will, ist es mir wichtig einen eigenen Beitrag zu leisten."
Ferdinand Liedtke (49) Fachdienstleitung