Süchtige sind Suchende!
Alexander Lattig (re.)
Am 18. Mai 2022 wird auf dem Hof neben der Cottbuser Christuskirche ein Fest gefeiert. Markus Adam, der Leiter der Caritas-Region Cottbus begrüßt die Gäste. Von ihnen sind viele selbst Teil einer Selbsthilfegruppe und haben ihre Familie mitgebracht.
Mitten in der Aktionswoche Alkohol: "Weniger ist besser", die die deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) vom 14. bis 22. Mai 2022 veranstaltet, erinnert Alexander Lattig an die Anfänge der Suchtselbsthilfe in Cottbus unter dem Dach der Caritas vor 35. Jahren. Alexander Lattig ist Suchttherapeut des Caritasverbandes der Diözese Görlitz e.V. in der Caritas-Region Cottbus und dort für die Suchtberatung und Nachsorge zuständig. Sein Vater Bernd Lattig hat als Leiter der damaligen Caritas-Kreisstelle Cottbus gemeinsam mit dem Mediziner Manfred Schimann im Jahr 1987 eine Selbsthilfegruppe für Alkoholkranke gegründet.
Bernd Lattig, Manfred Schimann (v.l.)
Beide Pioniere der Suchthilfe in Cottbus sind an diesem Nachmittag zu Gast. Bernd Lattig macht deutlich: "Sucht hat etwas mit Suchen zu tun. Wer sein Ziel aus den Augen verloren hat und in eine Grube gefallen ist, braucht Menschen an seiner Seite, die ihm in dieser Situation helfen." Der Arbeiter- und Bauernstaat der DDR hat Suchtkrankheiten gern totgeschwiegen. Sie passten nicht in das propagierte sozialistische Menschenbild. Deshalb wurden diese Hilfsangebote zum Beispiel der Kirchen offiziell gern verschwiegen. "Cottbus war in Sachen Hilfe für Alkoholiker ein weißer Fleck", ergänzt Manfred Schimann. Der Arzt erzählt, dass die Sucht auch in seiner Ausbildung keine Rolle gespielt hat. Die Praxis aber habe ihn gelehrt, dass "bei fast jeder Erkrankung Alkohol eine Rolle spielt und bei so mancher Krankheit sogar die Ursache ist." Als sich einmal eine alkoholkranke Patientin von Schimann mit den Worten verabschiedet: "Ob ich morgen wiederkomme, weiß ich nicht.", ist für ihn klar: "Ich muss etwas unternehmen." Er gründet in seiner Ambulanz in der Schweriner Straße eine Gruppe für Suchtkranke, die hier nach ihrer Entgiftung Hilfe für den Neuanfang finden können. Später leitet Schimann auch eine Selbsthilfegruppe für alkoholkranke Ärzte im Auftrag der Ärztekammer des Landes Brandenburg. Gefragt nach seiner Motivation antwortet Schimann: "Wenn es eine oder der einer geschafft hat, trocken zu sein, auch wenn es nur eine Zeit lang ist, dann hat sie, dann hat er gelebt. Aus jedem Gruppengespräch habe ich auch immer etwas für mich persönlich mitgenommen."
Unter dem Dach der Caritas gibt es heute drei Selbsthilfegruppen. Eine vierte Gruppe, speziell für Angehörige von Suchtkranken, hat sich kürzlich gegründet. Statistisch betrachtet sind bei jedem suchtkranken Menschen 2 bis 3 Angehörige mit betroffen. Alexander Lattig erläutert den interessierten Gästen den Unterschied zwischen Suchthilfe und Suchtselbsthilfe. Suchthilfe wird von Psychologen und Sozialarbeitern geleistet. Sie haben den professionellen Abstand zum Klienten und der Krankheit. Die Suchtselbsthilfe wird von Betroffenen geleistet. Sie haben selbst eigene Sucht-Erfahrungen. Alle sind Teil der Gruppe, in der jeder Halt finden und Halt geben kann. Wer sich in einer Selbsthilfegruppe engagiert, ist hoch motiviert, die eigene Situation zu verändern und zu verbessern. Hier findet jeder Raum für Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Freundschaft, Familie. Das ehrliche Feedback der Gruppe erleben die Betroffenen als Stütze. "Wie gelingt zufriedene Abstinenz?", ist für viele die zentrale Frage. Der Weg dorthin ist weit. Wer an einer Sucht erkrankt ist, bittet um Hilfe in einer Suchtberatungsstelle. Der nächste Schritt ist die Entgiftung und Therapie in einem Krankenhaus. Hat man diese "Käseglocke" verlassen, folgt 1/2 - 1 Jahr ambulante Nachsorge. Es gilt, Rückfälle zu vermeiden. Für die langfristige Nachsorge sind Selbsthilfegruppen eine gute gegenseitige Hilfestellung. Oftmals entstehen aus Nachsorgegruppen später Selbsthilfegruppen.
Matthias Schmidt, Bernd Lattig, Manfred Schimann (v.l.)
Der Zweite Vorstand des Caritasverbandes der Diözese Görlitz Matthias Schmidt bedankt sich bei Bernd Lattig und Manfred Schimann für ihr jahrzehntelanges Engagement in der Hilfe für Betroffene. Er macht deutlich, dass es wichtig ist ein Netz zu knüpfen, dass zum gegenseitigen Halt werden kann. Genauso wichtig ist es, das Netz ab und an einem TÜV zu unterziehen, dass es weiter in die Zukunft trägt. Herr Müller (Name geändert), selbst Mitglied einer Selbsthilfegruppe, seit 32 Jahren "trocken", bringt seine Dankbarkeit zum Ausdruck: "Ich habe damals bei Manfred Schimann die Hilfe gefunden, die ich dringend gebraucht habe. Auch meine Frau erhielt Unterstützung. Die Selbsthilfegruppe ist ein wichtiger Halt. Es ist gut zu erleben, dass in der Suchthilfe in Cottbus Lattig auf Lattig gefolgt ist, diese Aufgabe von einer Generation auf die nächste übergegangen ist. Schön, dass es Menschen gibt, die aus christlicher Nächstenliebe den Schwachen helfen."